Viel Gemeinsames: Konferenz "Die Rückkehr des Sozialen in die Poltitik?"
Ver.di und Diakonie wollen in der Sozialpolitik noch stärker an einem Strang ziehen. Das wurde bei einer Tagung am Freitag, dem 11. April, in Berlin deutlich. „Wir wollen, dass es in dieser Gesellschaft wieder sozialer zugeht“, brachte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler das gemeinschaftliche Anliegen auf den Punkt. „Durch einen gemeinsamen Auftritt gewinnen wir an Stärke, um eine soziale Politik durchzusetzen“, ergänzte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.
„Noch vor einem Jahr hätte ich mir eine solche Veranstaltung nicht vorstellen können“, sagte Bühler zu Beginn der Diskussion, die in den kommenden Monaten in themenbezogenen Foren fortgesetzt werden soll. Immer noch gebe es gravierende Differenzen darüber, wie die Lohn- und Arbeitsbedingungen der rund 500 000 Diakonie-Beschäftigten am Besten geregelt werden sollten. Die Gewerkschaft halte an der Forderung nach Tarifverträgen und dem Streikrecht fest, die in großen Teilen der Diakonie nach wie vor ein Tabu darstellen. „Trotz dieses Streits haben wir den Dialog gesucht und siehe da: es funktioniert“, so Bühler.
Ein Beleg hierfür ist der am gleichen Tag von ver.di und Diakonie öffentlich erhobene Forderung nach gleichberechtigter Einbeziehung der sogenannten Langzeitarbeitslosen in den gesetzlichen Mindestlohn. Deren geplanter Ausschluss für die ersten sechs Beschäftigungsmonate sei „nicht nachvollziehbar und nicht vertretbar“, betonte Loheide. Bühler fügte hinzu, so würden Erwerbslose weiter stigmatisiert und diskriminiert. Sie warnte vor einem „Drehtüreffekt“, bei dem „Langzeitarbeitslose für sechs Monate zu Hungerlöhnen beschäftigt werden, um sie anschließend wieder nach Hause zu schicken“. Auch in anderen Bereichen seien Gewerkschaft und Diakonie bereits erprobte Bündnispartnerinnen, erklärte Loheide. Als Beispiele nannte sie gemeinsame Aktivitäten gegen Armut und für gute Pflege.
Wie nötig das sozialpolitische Engagement von Kirchen und Gewerkschaften ist, machte Professor Gerhard Bäcker vom Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen in seinem Referat deutlich. So seien in der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD zwar viele soziale Themen aufgegriffen worden, damit sei aber keine grundsätzliche Abkehr vom neoliberalen Umbau des Sozialstaats verbunden. Die nun geplanten Korrekturen – wie der gesetzliche Mindestlohn und die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren – träfen auf massive Widerstände von Wirtschaftsverbänden und Lobbygruppen. Den Kirchen und Gewerkschaften empfahl der Wissenschaftler, der Umsetzung der von der Regierung angekündigten Verbesserungen „kritische Aufmerksamkeit“ zu widmen, zugleich aber weiterführende Reformforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren.
Uwe Becker von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe kritisierte, dass in Zusammenhang mit der Rentenreform „eine entsolidarisierende Diskussion geführt wird, bei der zwei Generationen aufeinander gehetzt werden“. Dem gelte es, gemeinsam entgegenzuwirken. Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Bereichsleiter Politik und Planung beim ver.di-Bundesvorstand, sagte, die „hysterischen Diskurse“ um die Rente mit 63 zeigten, wie erfolgreich neoliberale Kräfte weiterhin agierten. „Das wirkt auch deshalb so stark, weil viele das absolute Primat der betriebswirtschaftlichen Kostensenkung verinnerlicht haben.“ Kirche und Gewerkschaft sollten dieser „Vermarktlichung“ sozialer Leistungen entgegentreten und versuchen, „einen anderen Geist in diese Gesellschaft zu bekommen“.
„Wir erheben laut und deutlich unsere Stimme“, erklärte Bühler. Wichtig sei, dabei auch Visionen aufzuzeigen, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen könne. Jörg Kruttschnitt vom Vorstand der Diakonie Deutschland meinte, hier hätten beide Seiten bereits ähnliche Vorstellungen. Die Diskussionen in den kommenden Monaten werden zeigen, ob das auch in den Details der Fall ist – und ob die sozialpolitische Zusammenarbeit auch zu einer Annäherung bei der Regelung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Diakonie beiträgt.
Daniel Behruzi, Berlin
Ein weiterer Bericht über die Auftaktveranstaltung findet sich auf der Website der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe.