13. Kasseler Fachtagung: Kirchliche Sozialarbeit zwischen Konkurrenz und Kreuz – Sozialbranche im Umbruch
Sozial statt marktradikal
Das Soziale kommt angesichts des verschärften Wettbewerbs auch in der Diakonie immer mehr unter die Räder. Das wurde auf der zentralen Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 20./21. November in Kassel deutlich. Die von der Diakonischen ArbeitnehmerInnen Initiative (dia e.V.) gemeinsam mit ver.di, der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) sowie der Zeitschrift "Arbeitsrecht und Kirche" organisierte Veranstaltung machte aber auch klar: Es gibt Alternativen zur Unterbietungskonkurrenz – zum Beispiel allgemeinverbindliche Tarifverträge.
„Mit der Ökonomisierung wurde die Gesundheits- und Sozialwirtschaft dem Markt ausgesetzt – die Ergebnisse sind katastrophal“, betonte der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon zur Eröffnung. Die Gesundheitsausgaben seien gestiegen, etliche Krankenhäuser stünden vor der Insolvenz, es werde viel zu viel operiert und den Pflegekräften fehle die Zeit, sich angemessen um die Patientinnen und Patienten zu kümmern.
Auch Niko Stumpfögger von der ver.di-Bundesverwaltung verwies auf die fatalen Auswirkungen des Wettbewerbsdruck in der Branche. „Dieser führt zu Personalknappheit und dazu, dass die sozialen Träger ihr Qualitätsversprechen nur noch mühsam erfüllen können.“ Allgemeinverbindliche Tarifverträge seien ein Mittel, die Lohnkonkurrenz zu begrenzen. Als wichtigen Schritt in diese Richtung bezeichnete der Gewerkschafter die im September zwischen ver.di und dem Diakonischen Dienstgeberverband Niedersachsen geschlossene Tarifvereinbarung. Nach dem Willen aller Beteiligten und mit Unterstützung der Landesregierung soll diese für alle Träger des Bundeslandes verbindlich werden. „Das geht nur mit Tarifvertrag, der Dritte Weg hingegen ist ein Weg der kollektivrechtlichen Kleinstaaterei“, so Stumpfögger.
„Diese Sozialpartnerschaft mussten wir uns hart erkämpfen“, stellte ver.di-Verhandlungsführerin Annette Klausing klar. Seit 2010 hätten die Beschäftigten der niedersächsischen Diakonie mit unzähligen Aktionen – von Befragungen über Postkartenaktionen, Unterschriftenlisten und Demonstrationen bis hin zu „aktiven Mittagspausen“ und Streiks – für eine Abkehr vom „Dritten Weg“ kircheninterner Lohnfindung gestritten. Mit Erfolg. Zugleich stellte Klausing fest: „Das Ende ist offen.“ In den aktuellen Lohnverhandlungen fordert ver.di Entgeltsteigerungen von monatlich 100 Euro plus 3,5 Prozent. Die Arbeitgeberangebote liegen weit darunter. „Wie überall gibt es eben auch hier einen Interessengegensatz: ver.di will mehr Geld für die Beschäftigten, die Diakonie will möglichst wenig ausgeben.“
Dr. Jörg Antoine vom Vorstand des Diakonischen Werks Niedersachsen sieht den Tarifvertrag als „Chance, einen Grundkonflikt zwischen Kirchen und Gewerkschaften anders zu gestalten“. Als Kernstück bezeichnete er die ebenfalls verabredete Sozialpartnerschaft. „Auch VW ist nur erfolgreich, weil das Unternehmen die Sozialpartnerschaft lebt“, erklärte Dr. Antoine. Er plädierte dafür, zunächst die Tarifregelungen für Auszubildende und in einem zweiten Schritt in der gesamten Altenpflege für allgemeinverbindlich zu erklären. Ein hierfür nötiges öffentliches Interesse sei angesichts des Lohndumpings privater Wettbewerber definitiv gegeben.
Andere Teile der Diakonie beharren hingegen auf dem kirchlichen Sonderweg. Das stellte Christian Dopheide vom Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) klar. Für das Selbstbestimmungsrecht der Kirche, die als Rechtfertigung des „Dritten Wegs“ dient, werde er „kämpfen“. Zudem betonte der Verbandsfunktionär, er sehe keinen Gegensatz zwischen diakonischem Auftrag und marktwirtschaftlichem Wettbewerb. „Das A und O ist, dass die Menschen wählen können, wo sie soziale Dienstleistungen beziehen“, sagte Dopheide. Unternehmerisches Agieren liege ganz in den protestantischen Traditionen der evangelischen Kirche. Auch Rüdiger Becker vom niedersächsischen Dienstgeberverband erklärte, man dürfe „Diakonie und Markt nicht gegeneinander ausspielen“.
Die meisten der rund 200 Mitarbeitervertreter sahen das ganz anders. „Ich finde es schlimm, dass Gesundheit, Erziehung und Pflege zu einer Ware verkommen sind“, sagte Monika Schneider von der Kreuznacher Diakonie. „Jesus hat die Markthändler damals aus dem Tempel gejagt – das erwarte ich auch von Diakonie und Caritas heute.“ Ein andere Mitarbeitervertreter betonte, Marktkonkurrenz sei immer auch Verdrängungswettbewerb. „Ich will meine Kollegen in anderen Einrichtungen aber nicht verdrängen.“