„Auf dem Boden der Verfassung“

Der ehemalige Vorsitzende des Verbandes diakonischer Dienstgeber (VdDD), Markus Rückert, hat in einem Gespräch mit dem evangelischen Pressedienst „epd sozial“ den „Dritten Weg“, also das Recht des kirchlichen Dienstgebers, Löhne und Arbeitsbedingungen festzusetzen, als richtungsweisend bezeichnet. Ein „Diskurs vernünftiger Menschen“ um die Arbeitsbedingungen in diakonischen Einrichtungen sei dem „lauten Straßenkampf um Lohnerhöhungen haushoch überlegen“.

Dazu ein Interview mit Berno Schuckart-Witsch, zuständiger Sekretär Diakonie bei ver.di.

Das Streikrecht wird vom Grundgesetz garantiert. Worauf zielt der ehemalige Vorsitzende des VdDD, wenn er dieses als „lauten Straßenkampf“ verunglimpft?

Berno Schuckart-Witsch: Bemerkenswert ist schon, dass Rückert als ehemaliger Chef des Arbeitgeberverbandes in „epd sozial“ erneut viel Raum für seine verfassungswidrigen Thesen erhält. Als ausgebildeter Theologe sollte er einmal sein Verhältnis zu den Grundrechten überdenken, diese will er in der Diakonie nämlich nicht gelten lassen. Wir sind gespannt, ob sein Nachfolger sich ähnlich neben die bundesdeutsche Verfassung stellen wird.

Der Verband diakonischer Dienstgeber beharrt, in einer sozialen Einrichtung könne es keinen Arbeitskampf wie in einem Produktionsbetrieb geben, in dem es darum gehe, die Gewinne des Unternehmens gerechter zu verteilen. ver.di ist davon überzeugt, dass auch im kirchlichen Bereich das Streikrecht zu gelten hat. Sind diakonische Einrichtungen aus ver.di-Sicht gewinnorientierte Unternehmen?

Nicht in dem Sinn, dass Aktionäre bedient werden müssen. Auch Diakonieunternehmen operieren allerdings knallhart betriebswirtschaftlich auf dem Sozial- und Gesundheitsmarkt. Da werden selbstverständlich auch Gewinne eingefahren, um sich als Konzern weiter ausdehnen zu können. Rückert selbst ist Vorstand der Augustinum Gruppe mit 4000 Beschäftigten und 22 Wohnstiften für Besserverdiende. Die Hälfte der Stifte gehört Finanzinvestoren.

Was ist mit dem Vorwurf, ein Streik würde zu Lasten der Patient/innen und Pflegebedürftigen gehen?

Ein immer wieder gern vorgetragenes „Killer-Argument“ gegen das Streikrecht. Dabei werden im Falle eines Streiks in der Regel Notdienstvereinbarungen zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber abgeschlossen, die die Versorgung von Patient/innen sicherstellen soll. Es wird das Schreckgespenst eines Versorgungsnotstandes an die Wand gemalt, den es so bei Streiks noch nie gegeben hat. Im übrigen sind Streiks immer das allerletzte Mittel, wenn Tarifverhandlungen völlig festgefahren sind.

Als Gewährsmann für den „Dritten Weg“ führt Markus Rückert den Apostel Paulus an, den er als vorbildlichen Schlichter bezeichnet. Dieser mahne an, man erreiche einen Konsens nicht durch „Interessendurchsetzung“, sondern durch „Interessenverzicht“. Auf Lohn zu verzichten ist also Christenpflicht?

Nun wird auch noch der alte Paulus als Kronzeuge gegen das Streikrecht von Arbeitnehmer/innen in christlichen Betrieben herangezogen. Schade, dass er sich nicht wehren kann. Ungewollt kennzeichnet Rückert den „Dritten Weg“ als Modell des Interessenverzichts für Arbeitnehmer/innen in der Diakonie. Damit hat er Recht.

Was steckt hinter diesem vehementen Ablehnen des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen? Wie sind dort die Löhne und Arbeitsbedingungen im Verhältnis zu tarifgebundenen Einrichtungen?

Etwa zwei Drittel der 452 000 Diakoniebeschäftigten erhalten Löhne, die bis zu 7 Prozent unterhalb des Niveaus des Tarifvertrages im Öffentlichen Dienst liegen. Dazu kommt, dass z.B. nach den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie seit Jahren keine realen Lohnerhöhungen gezahlt wurden. Die Diakoniebeschäftigten werden sich das immer weniger gefallen lassen. Deshalb wird es auch 2012 weiter Aktionen und Streiks geben.

Der ehemalige Vorsitzende des VdDD verteidigt Leiharbeit als ein Mittel, um durch Krankheit lahmgelegte Stationen wieder besetzen zu können. Leiharbeit als Segen?

Mit dieser Aussage stellt sich Rückert gegen das von ihm so hoch geschätzte Kirchenarbeitsrecht. Der evangelische Kirchengerichtshof für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten hat schon vor geraumer Zeit geurteilt, dass Leiharbeit nur über einen kurzfristigen Zeitraum erfolgen darf. Ersetzende Leiharbeit ist in Diakoniebetrieben nicht erlaubt. Wir haben den Eindruck, dass Diakoniearbeitgeber ihren kirchlichen Gesetzgeber hier missachten. Neueste Umfragen belegen, Leiharbeit findet nach wie vor statt.

In Niedersachsen hat ver.di nun erstmals einen Tarifabschluss mit einer kirchlichen Einrichtung ausgehandelt. Seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt am Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg dieses Tarifwerk. Ein Abschluss mit Signalwirkung?

Natürlich hat dieser Abschluss Signalwirkung. Das war schon den aufgeregten Meldungen aus verschieden Diakoniegliederungen zu entnehmen. Das Management im Evangelischen Krankenhaus hat sachorientiert im Interesse der dortigen Beschäftigten gehandelt. Daran sollten sich andere Leitungsorgane der Diakonie ein Beispiel nehmen. Beispielhaft ist selbstverständlich auch die Belegschaft, die klar ihren Willen für einen Tarifvertag mit Streiks und Aktionen ausgedrückt hat.

Es wird erwartet, dass sich noch im Frühjahr das Bundesarbeitsgericht mit der Materie befassen wird. Wie sieht ver.di die Chancen, das Streikrecht in diakonischen Einrichtungen juristisch durchzusetzen?

Es ist mit allem zu rechnen. Viele Juristen sind der Meinung, das kirchliche Selbstordnungsrecht sei mindestens gleichwertig mit dem Koalitions-und Streikrecht der Gewerkschaften. Aber, wir stellen fest, die öffentliche Meinung hat sich in den letzten Monaten erheblich in unsere Richtung gedreht. Noch viel wichtiger: Alle Umfragen bei Diakoniebeschäftigten beantworten die Frage nach dem Streikrecht und Tarifverträgen mit Ja. Deshalb bin ich sicher: Wir werden uns vor dem Bundesarbeitsgericht durchsetzen.

Fragen: Uta von Schrenk