Offener Brief des DGB Stadtverbandes Herne: Arbeitsbedingungen sind unerträglich
Offener Brief des DGB Stadtverbandes Herne an Präses der Evangelischen Kirche Deutschlands Herrn Nikolaus Schneider, die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen Frau Annette Kurschus und den Superintendent des Kirchenkreises Herne Herrn Reiner Rimkus.
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit geraumer Zeit werden in den Medien die Arbeitsbedingungen für Interessenvertretungen und Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen kritisiert. Auch in Herne häufen sich die Vorkommnisse, die aus unserer Sicht nichts mehr mit einem christlichen Weltbild, demokratischen Strukturen und einem menschengerechten Umgang in Einklang zu bringen sind.
Wir protestieren aufs energischste und rufen Sie zur Mäßigung und Umkehr auf!
Zum 01. Juli 2011 wurde der Ev. Verbund Ruhr (EVR) aus der Ev. Krankenhausgemeinschaft Herne / Castrop-Rauxel gGmbH und der Diakonie-Ruhr gegründet. Ein Unternehmen mit ca. 4700 Beschäftigten, einem Umsatz von ca. 223 Millionen Euro und dem Sitz in Herne. Aufsichtsratsvorsitzender ist der Herner Superintendent Reiner Rimkus.
Im Vorfeld der Unternehmensgründung wurden zum Jahreswechsel ca. 200 Beschäftigte aus der Krankenhausgemeinschaft in vier neugegründete weltliche Gesellschaften outgesourct. Neueinstellungen werden zu krankenhaus- und kirchenfernen Bedingungen beschäftigt. Dadurch erhalten sie für die gleiche Arbeit wie ihrer „älteren“ KollegInnen bis zu 40 % weniger Lohn, dazu haben sie höhere Wochenarbeitsstunden und keine betriebliche Altersversorgung.
Wir halten weiterhin am Credo „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ fest. Wir fordern Sie auf, alle Menschen gleich zu achten und zu behandeln!
Seit dem Jahreswechsel wird die Arbeit der Mitarbeitervertretung behindert, in dem ihre Veröffentlichungen von der Intranet-Seite „Aktuelles“ wegzensiert wird. Wir erinnern daran, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat mit Meinungsfreiheit und ohne Zensur leben. Gewähren Sie der Mitarbeitervertretung als demokratisch gewählter Interessenvertretung die Meinungsfreiheit ohne Zensurbeschränkungen!
Der neue Aufsichtsrat des EVR ist konstituiert. Trotz Bemühungen der Interessenvertretungen und der zuständigen Gewerkschaft ver.di verweigern Sie diesen Sitze im Aufsichtsrat. Die Geschäftsführung wird künftig von einem „handverlesenen“ Aufsichtsrat „überwacht“ ohne das die Beschäftigten an irgendeiner Entscheidung beteiligt werden. Diese undemokratische Vorgehensweise entspricht in keinster Weise einer Unternehmensführung des 21. Jahrhundert, sondern erinnert an Gutsherrentum.
Beenden Sie diesen Zustand unverzüglich und lassen eine demokratische Kontrolle der Geschäftsführung zu.
In der Tochtergesellschaft DLG wurden vor ca. 2 Monaten im Vorfeld von Beriebsratswahlvorbereitungen ca. 60 Spinde von Beschäftigten rechtswidrig geöffnet und 12 Beschäftigten fristlos gekündigt. Ihnen wurden u.a. Hygienefehler vorgeworfen. Ein Zufall, dass sich unter den Gekündigten Beschäftigte befanden, die sich an den Betriebsratswahlen beteiligten?
Wir fordern Sie auf, Gesetze zu achten!
Kirche verweigert Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften und will ihren Mitarbeitern Streikrechte verbieten. Auf der Synode der Ev. Kirche Deutschlands wurde extra ein Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz verabschiedet, das Streikmaßnahmen verbietet. Da in kirchlichen Einrichtungen keine Betriebsräte vorgesehen sind, arbeiten Mitarbeitervertretungen unter einem Mitarbeitervertretungsgesetz, dass von Arbeitgeberseite beschlossen wird.
Ob der Staat ein Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen akzeptiert, wird Anfang 2012 vor dem Bundesarbeitsgericht entschieden. Es würde den Kirchen gut zu Gesicht stehen, die Europäische Grundsatzcharta anzuerkennen, in der Streikrechte anerkannt sind.
Ziehen Sie die Klagen gegen ver.di vor dem Bundesarbeitsgericht zurück und beachten Sie Menschenrechte!
Kirche nimmt diese Sonderrechte in Anspruch, weil ihnen aus dem Grundgesetz Artikel 140 in Folge der Reichsverfassung von 1919 ein Selbstregelungsrecht für ihre inneren Angelegenheiten zugestanden werden. Ob diese „inneren Angelegenheiten“ auch privatrechtliche Arbeitsverhältnisse ohne jeden Bezug zum Verkündigungsauftrag darstellen, ist mehr als fraglich.
Mehr als peinlich ist aber das Beharren der Kirchen auf etwaige Sonderrechte um über oben beschriebene Attacken auf Arbeitnehmer, Löhne zu senken und Mitarbeiter einzuschüchtern.
Sicherlich nimmt der Druck im gesamten Gesundheits- und Sozialwesen durch Kürzungen zu. Es ist und bleibt unverständlich, dass kirchliche Arbeitgeber offensichtlich nur „ihr“ Personal und deren Löhne im Auge haben um profitorientiert arbeiten zu wollen. Dabei werfen Sie leider alle schönen Sonntagspredigten von Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen über Bord und werden dabei immer unglaubwürdiger.
Als Unverschämtheit empfindet der DGB Stadtverband Herne diese Machenschaften vor dem Hintergrund, dass sämtliche Leistungen kirchlicher Einrichtungen zu ca. 98 % nicht aus Kirchensteuermitteln finanziert werden, sondern von der ganzen Bevölkerung über Krankenkassenbeiträge, Pflegeversicherungen oder Landeszuschüssen getragen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir fordern Sie hiermit zu einem offenen Dialog mit den Gewerkschaften, den Beschäftigten und der Gesellschaft über demokratische Arbeitsbedingungen auf. Seien Sie Vorbild als Arbeitgeber oder beschränken Sie sich auf den Verkündigungsauftrag als Kirche!
Mit freundlichen Grüßen
Eva-Maria Kerkemeier
stellvertr. SV Vorsitzende
Melanie Maier
Organisationssekretärin DGB Region Ruhr-Mark
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