Streikrecht ist Grundrecht! Demo in Magdeburger war ein großer Erfolg
Über 1500 Beschäftigte, meist Mitarbeitervertreter/innen nahmen an einer beeindruckenden Kundgebung mit Frank Bsirske, Ver.di Vorsitzender, Katrin Göring-Eckard, Synodenpräsidentin der EKD und Lothar Germer, MAVler aus Niedersachsen, teil.
Die Rede von Lothar Germer dokumentieren wir hier. Weitere Reden, Bilder und Eindrücke findet Ihr demnächst auf www.streikrecht-ist-grundrecht.de.
Lothar Germer (MAV Niedersachsen), am 4.11. 2011 in Magdeburg:
"Ich arbeite seit 1982 in der diakonischen Einrichtung Evangelische Jugendhilfe Friedenshort in Bad Gandersheim, ca. 30 km westlich der ehemaligen Grenze zur DDR. Ich habe deshalb mit besonderem Interesse verfolgt, was sich im Herbst 1989 in diesem Teil Deutschlands getan hat.
Da haben Menschen für Menschenrechte demonstriert, für Freiheit, für die Würde des Menschen und dagegen, dass Ihnen das von der Obrigkeit versagt wird. Diese Menschen wurden nicht nur von der Kirche unterstützt, die Kirche stand an der Spitze der Bewegung. Mensch, war ich stolz auf meine Kirche!
Unter den Menschen, die heute in der Diakonie arbeiten, die heute hier stehen, sind sehr viele, die damals auch dabei waren. Die dazu beigetragen haben, dass die Menschenrechte wieder für alle Deutschen uneingeschränkt gelten. Ein unglaublicher Sieg der Demokratie, der Bürgerrechte. Teilhabegerechtigkeit. Und dass es erfolgreich war, dazu hat die Kirche eine Menge beigetragen. Wir alle sind dafür sehr dankbar. Für viele war damit ein Traum in Erfüllung gegangen mit dessen Erfüllung nicht sehr viele wirklich gerechnet hatten.
Ich sagte eben, dass diese Menschen aus der damaligen DDR dafür gesorgt haben, dass die Menschenrechte wieder für alle Deutschen uneingeschränkt gelten. Leider ist dies so nicht ganz richtig.
Meine Kirche bestreitet ihren Beschäftigten ein ganz wichtiges Menschenrecht. Sie ist sogar im Begriff eigens ein Gesetz zu verabschieden, in dem den Beschäftigten der Diakonie dieses Menschenrecht ausdrücklich aberkannt werden soll. Ein Menschenrecht, für dass so viele Menschen gelitten haben, gestorben sind und 1989/90 auf die Straße gegangen sind. Das Freiheitsrecht: Streikrecht.
Ja, ich halte es für ein Menschenrecht. Es ist auch in der Europäischen Menschenrechtscharta anerkannt. Aber die Kirche pocht auf den 3. Weg ohne Streikrecht.
Die Kirche, die für diese Stadt Magdeburg und ihre Diakonie zuständig ist, die Evangelische Kirche Mitteldeutschland versucht gerade eine Arbeitsrechtliche Kommission zu bilden. Es findet sich keine Organisation, die dort die Interessen der Beschäftigten vertreten will, weil die Beschäftigten erkannt haben, dass ein Verhandeln auf Augenhöhe in diesem System nicht möglich ist. Statt sich um einen anderen Weg zu bemühen, versucht die EKM durch Urwahl zum Ergebnis zu kommen. Beim ersten Versuch waren nicht genügend Menschen dort, man war nicht beschlussfähig. Daraufhin wurde noch einmal eingeladen, nun war man beschlussfähig, obwohl aus 240 möglichen Mitarbeitervertretungen der 24.000 Beschäftigten nur 24 Menschen (1 Promille) anwesend waren. Ganze 3 Menschen waren bereit zu kandidieren und waren damit auch schon gewählt. Es fehlen aber immer noch 2 'Dienstnehmervertreter'. Hier sieht man sehr deutlich was der '3. Weg' bedeutet. Er schadet dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Kirche.
Ich bitte meine Kirche: Halte inne, kehre um.
Alle Menschen haben das Recht teilzuhaben an demokratischen Grundrechten und Menschenrechten. Auch die, die sich um alte, kranke, behinderte und anders hilfebedürftige Menschen in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen kümmern.
1989/90 hat die Kirche an vorderster Stelle geholfen, Unrecht zu überwinden.
Heute kann sie dies wieder tun:
Wir haben in Deutschland das Problem, dass durch die politisch gewollte Konkurrenz im Sozialbereich der Wettbewerb immer härter wird und er wird fast ausschließlich auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
Da werden Bereiche ausgegründet, um billiger bezahlen zu können. Da werden Leiharbeitnehmerinnen eingesetzt, um billiger bezahlen zu können. Da wird nur noch befristet eingestellt, da gibt es nur noch Teilzeitstellen, da gibt es Scheinselbständigkeit, um billiger zu sein und konkurrenzfähig zu bleiben.
Und auch hier war die Kirche mit an der Spitze.
Die billigen W-Gruppen in den AVR-DW-EKD wurden von der Diakonie Ende des 20. Jahrhunderts eingeführt und sollten Ausgründungen verhindern. Sie haben Ausgründungen nicht verhindert, aber sie werden mit dafür verantwortlich sein, dass nicht wenige Diakoniebeschäftigte unter Altersarmut leiden werden.
Die Lohnkonkurrenz muss aufhören. Sie schadet nicht nur den heute Beschäftigten im Sozialbereich, sie schadet dem Bereich als Solchem: Es gibt auf Grund der demographischen Entwicklung immer weniger Menschen, die eine Ausbildung machen. Diesen Wenigen steht ein immer größerer Arbeitskräftebedarf gegenüber. Warum soll sich ein junger Mensch für eine Ausbildung im Sozialbereich entscheiden, wenn die Arbeitsbedingungen dort deutlich schlechter sind als in anderen Bereichen.
Wenn wir heute nichts dagegen tun, ist es Morgen vielleicht zu spät. Und dann haben wir wieder Verhältnisse wie in den 1960er und -70er Jahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Kirche das will.
Aber wir können etwas dafür tun, dass der Sozialbereich attraktiv wird und die Lohnkonkurrenz aufhört.
Wir können dafür sorgen, dass es einen Tarifvertrag für den Sozialbereich gibt, der für alle dort Beschäftigten gilt. Und dabei kann, dabei muss meine Kirche helfen. Denn dieser Tarifvertrag kann nur dann für allgemeinverbindlich erklärt werden und damit für alle Beschäftigten gelten, wenn er 50 % der Beschäftigten erfasst - und das ist ohne die Diakonie nicht möglich.
Ich bitte meine Kirche deshalb, nein, ich erwarte von ihr und fordere sie auf, diese Möglichkeit zu einem gerechteren Miteinander in der Gesellschaft zu kommen, aktiv zu unterstützen. Ich fordere sie auf, den Weg frei zu machen, dass die Diakonie in Verhandlungen für einen Tarifvertrag einsteigt, um im nächsten Schritt zu einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag-Soziales zu kommen.
Solche Tarifvertragsverhandlungen müssen auf Augenhöhe geführt werden. Dazu gehört selbstverständlich das Streikrecht. Ohne das Druckmittel des Arbeitskampfes bleibt alles nur kollektive Bettelei, und dass ist menschenunwürdig.
Niemand hier und sonst wo in der Diakonie will das Streikrecht, um es gegen die Kirche einzusetzen. Streiks werden in Deutschland nie gegen etwas eingesetzt sondern nur für etwas. Ja glauben sie denn, dass z.B. die Beschäftigten von VW gegen Ihren Konzern Arbeitskämpfe führen? Nein, sie sind stolz auf VW, sie führen diese Kämpfe FÜR bessere Arbeitsbedingungen. Und nicht anders wird das in der Diakonie und Kirche sein.
Auch Diakoniebeschäftigte sind stolz auf ihre Arbeit. Sie sind Diakonie.
Sie werden niemals gegen die Diakonie oder die Kirche streiken sondern immer für eine bessere Diakonie und für die gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander.
Das Recht der Kirche ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, will ihr niemand nehmen.
Dieses Recht ist wichtig und garantiert die Religionsfreiheit.
Aber dieses Recht darf eben nur in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes ausgeübt werden. Und Menschenrechte sind unteilbar und gelten für alle Menschen. Das Streikrecht ist ein Menschenrecht.
Wie will eine Kirche, die den Menschen das Streikrecht abspricht, ihren Auftrag erfüllen?
Keine Kirche auf der ganzen Welt tut dies, einzig die deutschen.
Kirche und Diakonie haben in der letzten Zeit durch den Umgang mit ihren Beschäftigten sehr an Glaubwürdigkeit verloren.
Gibt es für eine Kirche schlimmeres als GLAUBwürdigkeit zu verlieren?
Die Kirche und Ihre Diakonie werden die verlorene Glaubwürdigkeit sofort wieder bekommen, wenn sie auch ihre eigenen Beschäftigten teilhaben lässt an allen Grund- und Menschenrechten - ohne wenn und aber - und nicht weiter versucht, wie dies der diakonische Arbeitgeberverband VDDD tut, durch MISSBRAUCH des Selbstordnungsrechtes, Wettbewerbsvorteile zu erhalten und auszubauen.
Ich fordere meine Kirche auf:
- Verabschiedet nicht das Arbeitsrechtsgrundsätzegesetz mit dem menschenrechtswidrigen Streikverbot
- Sagt JA zu den Menschenrechten auch für die eigenen Beschäftigten, bestreitet ihnen nicht länger das Streikrecht
- Zieht die Streikrechtsklage gegen die Gewerkschaft Ver.di zurück
- Beginnt Tarifvertragsverhandlungen mit dem Ziel eines TV-Soziales, damit Deutschland wieder sozialer und gerechter wird und die Kirche wieder an der Spitze einer Bewegung steht, die für mehr Gerechtigkeit sorgt.
Wie damals im Herbst 1989."