Der »Dritte Weg« ist vergiftet


Ein Beitrag von Berno Schuckart-Witsch für die 40. Ausgabe der ver.di Zeitung »DREI«

Nichts gibt es mehr umsonst. Für eine gerechte Vergütung und gute Arbeitsbedingungen muss gestritten werden. Seit Jahren haben die Arbeitnehmer in Deutschland reale Verluste in ihrem Geldbeutel hinzunehmen. Auch die Diakonie, immerhin einer der größten Arbeitgeber in Deutschland, hat dazu beigetragen: Seit mehr als zehn Jahren wird hier an der Lohnschraube gedreht.

Die Diakonie hat als Erste begonnen, den Niedriglohnsektor in den unteren Einkommensbereichen einzuführen, angeblich zur Verhinderung von Ausgliederungen. Heute stellen wir fest: Ausgegliederte Tochterfirmen, Leiharbeits- und Fremdfirmen sind fester Bestandteil diakonischer Unternehmenskonzepte. Hinzu kommt, dass in den Diakonielandesverbänden 18 verschiedene Richtlinien für Arbeitsverträge gelten. Nahezu alle Regelungen verfügen über »Beliebigkeitsklauseln«, d.h. jeder einzelne Anstellungsträger hat die Möglichkeit, von diesen Richtlinien abzuweichen. Eine Reihe von Arbeitsrechtsregelungen weisen sogenannte Öffnungsklauseln auf, um weiter einseitig Entgelte kürzen zu können. Insgesamt haben wir es bei der »Leitwährung« der Diakonie, den Arbeitsvertragsrichtlinien, mit einem Lohnrückstand von über 13 Prozent West und über 17 Prozent Ost gegenüber dem Branchenniveau öffentlicher Dienst zu tun.

Ein Arbeitgebervertreter formulierte neulich vor dem Arbeitsgericht Bielefeld: »Gott kann man nicht bestreiken.« Recht hatte er – bleiben wir bei diesem Bild: Gott vereinbart auch keine Arbeitsverträge, zahlt keine Niedriglöhne, vereinbart weder befristete Verträge, noch gründet er Zeitarbeitsfirmen oder gliedert Betriebsteile aus. Arbeitsverhältnisse in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden werden auf Erden gestaltet, hier findet die Auseinandersetzung um gute Arbeit statt.

Es ist genug: Seit 35 Jahren vertreten die christlichen Kirchen einen Sonderweg im Arbeitsrecht, häufig auch »Dritter Weg« genannt. Die Ergebnisse der Arbeit auf diesem Weg sind in einer Sackgasse gelandet. Ein so genannter Zweiter Weg wären Tarifverträge mit den Gewerkschaften, der Erste aber – die einseitige Festlegung der Entgelte durch den Arbeitgeber – wird immer noch häufig in der Diakonie praktiziert. Der Dritte Weg steht für die Regelung der Arbeitsbedingungen über Arbeitsrechtliche Kommissionen. Wer in den Kommissionen sitzen darf, mit welchen Regelungen die Mitglieder arbeiten, bestimmen Kirche und Diakonie ohne Beteiligung der Beschäftigten.

Merke: Alles, was in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen festgelegt wird, ist ohne Gewerkschaften zustande gekommen. Die Nebenstrecke Dritter Weg ist beendet. Die Hauptstrecke heißt: Schluss mit den Arbeitsrechtlichen Kommissionen, Abschluss von Tarifverträgen, Vergütung und Arbeitsbedingungen mindestens auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes!

Die Diakonie als großer Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche mit 450.000 Arbeitnehmer/innen ist Adressat dieser Forderungen. Aber auch die christlichen Kirchen insgesamt sind Gegenstand vielfacher Kritik, da die Verweigerung von Grundrechten für ihre Beschäftigten niemandem mehr glaubhaft zu vermitteln ist.

Mittlerweile haben auch die Arbeitsgerichte festgestellt, dass im System Dritter Weg Gewerkschaften keinen angemessenen Einfluss ausüben können. Die Beschäftigten besitzen auf diesem Weg keine Durchsetzungsmöglichkeit, um auf Augenhöhe einen Tarifvertrag aushandeln zu können. Ein Tarifvertrag gilt zudem zwingend und unmittelbar für die Gewerkschaftsmitglieder eines Betriebes. Deshalb, so die Arbeitsgerichte, ist der Dritte Weg nicht vergleichbar mit dem Tarifvertragssystem. Richtig so!

Merke: Die Arbeitsgerichte haben bisher eindeutig entschieden: Das Streikrecht besteht auch in kirchlichen Betrieben.

Daran wird auch kein Kirchengesetz etwas ändern, so wie es die Synode, das Parlament der evangelischen Kirche, für ihre Diakonie am 4. November 2011 in Magdeburg beschließen will. Bei den Beschäftigen mit ihren Inter­essenvertretungen, besonders in der Diakonie, stößt diese Absicht auf Empörung. Die Kirchen sind nicht der Gesetzgeber für das allgemeine Arbeitsrecht: Dafür ist der Deutsche Bundestag zuständig. Deshalb wird es am 4. November Proteste vor dem Versammlungsort der Kirchenvertreter geben.

Merke: Gute Löhne und gute Arbeit werden auch in der Diakonie nur mit Tarifverträgen flächendeckend zu erreichen sein. Die Erfahrung zeigt bisher: Nur durch Streiks sind die Diakoniearbeitgeber zu bewegen, sich auf echte Tarifverhandlungen einzulassen.

Wir werden es erleben: Arbeitnehmer/innen in kirchlichen Betrieben sind keine Lämmer, die sich widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen. Dienstgemeinschaft war gestern, heute ist Beteiligung, Offenheit und Demokratie angesagt.
Berno Schuckart-Witsch